Mag. Barbara Jakel
PPP – Prä- und Perinatal orientierte Psychotherapie *

Aktuelles

Kongressankündigung: "Lebender Zwilling- vom Verlust zur Freude 2.0"

https://www.digistore24.com/content/467967/40801/BarbaraJakel

Zwillingskonferenz, 12-21.12 Dezember 2022, Beitrag von Barbara Jakel

Interview, Elke Brenner

„Therapeutische Arbeit dem überlebenden Zwilling“- Zusammenfassung

Überlebende Zwillinge suchen oft unbewusst jene Therapeuten aus, welche sich mit dem pränatalen und Geburtstrauma befassen. Sie suchen einen Teil von ihnen selbst- den verlorenen Zwilling in einem Zeitraum, welcher in einer herkömmlichen Psychotherapie erstaunlicherweise immer noch kaum Beachtung findet. Die Wahrnehmungen im vorgeburtlichen Zeit- und Bindungsraum unterscheiden sich von jenen nach der Geburt. Sie werden implizit im prozeduralen Gedächtnis sehr früh, auf subkortikalen Ebenen, gespeichert. Um an diese Speicherung heranzukommen, bedarf es spezieller Zugänge auf der Basis klinischer Arbeit. Der vorgeburtliche Raum beinhaltet nicht nur den Uterus der Mutter. Der ganze mütterliche Organismus samt aller generationsübergreifender Speicherungen und aktueller existenziellen Situation der Schwangeren, vor allem ihrer unbewussten Psyche haben enorm prägenden Einfluss auf die Entwicklung des Menschen vom Anfang seiner Existenz. Das Leben beginnt schon in der Zelle, sie ist sein Prototyp, ein Mikrokosmos voller Informationen. Es beginnt sehr oft zu zweit, ja sogar in mehrfacher „Begleitung“. Diese gemeinsame Zeit mit einem anderen Wesen kann von unterschiedlicher Dauer sein, von Tagen bis Wochen oder gar Monaten. Der Verlust des Zwillings wird dann zu einem der prägendsten Traumata der vorgeburtlichen Zeit. Was davon bleibt, kann den überlebenden Zwilling entscheidend beeinflussen im Negativen, aber auch positiv. Da die Erinnerung an diesen Verlust „vergessen“ wird, bleibt die implizite Speicherung wirksam. Sie macht Symptome, im Bindungsverhalten, im Körper, in der Psyche, in der Seele. Der überlebende Zwilling begibt sich meist unbewusst auf die Suche nach einem fehlenden Wesen.

Das Wesen eines Traumas ist, nach dem verlorenen oder fehlenden Teil von uns selbst zu suchen, um ganz zu werden. Wenn dieser Teil der verlorene Zwilling (Zwillinge) war, handelt es sich um eine konkrete Suche nach den Umständen der früheren, gemeinsamen Existenz. Diese Umstände können spiritueller Natur sein, da Zwillinge vom Anfang ihrer Existenz im Mutterleib eine besondere Art von Nähe, in der Qualität bedingungsloser Liebe erleben.

Die Erinnerungen daran können spontan aktiviert werden, durch ein einziges Element des früheren Erlebens ausgelöst. In den ersten Schwangerschaftswochen schweben Embryos wie in Meditation in einem noch zeitlosen Raum. Es entsteht eine Bindung seelischer Art- hier geht es um die pure Existenz,  und das nicht alleine! Im weiteren Verlauf der Schwangerschaft, speziell nach dem Zwillingsverlust, wird die Mutter zur zweitwichtigsten Bindung. Der überlebende Zwilling müsste dann eine ausreichend gute Beziehung mit der Mutter erfahren haben, um den Zwillingsverlust einigermaßen zu bewältigen. Wenn das nicht der Fall ist, wird der verlorene Zwilling zur Überlebensstrategie- die Erinnerung an ihn, ja die Suche nach ihm, zwingend, um eine nährende, lebensspendende Bindung aufrechtzuerhalten. Darin ist aus meiner Sicht die immense Bedeutung des Zwillings für den überlebenden begründet. Darum nimmt er ihn/sie geistig mit- emotional als Überlebensstrategie und als eine primäre spirituelle Ressource.

Aus der klinischen Praxis weiß ich, dass der verlorene Zwilling an die eigene Herkunft erinnern kann – an unsere unverkörperte Existenz. Auf dem Weg zur Verkörperung kann er/sie als Begleitung eine enorme Unterstützung sein. Das Alleinsein im Mutterleib kann die pränatale aber auch die postnatale Entwicklung massiv stören. Studien über pränatalen Stress haben gezeigt, dass die Symptome davon lebenslange Spuren hinterlassen können und die Lebensqualität des Menschen beeinträchtigen. Wird das Kind in der Schwangerschaft alleine gelassen, gewinnt der verlorene Zwilling an Bedeutung. Darum nehmen die überlebenden Zwillinge ihre verlorenen Geschwister geistig oft mit. Es bleibt aber gleichzeitig das Nahtoderlebnis im Mutterleib das große Thema. Die Umstände des Zwillingsverlusts können den überlebenden traumatisieren. Er/sie überlebt, indem der Zwillingstod verleugnet wird, der Körper vergisst es aber nicht. Daraus speist sich eine besondere Empfänglichkeit des Über-lebenden für das Thema der Trennung und des Verlustes. Der Zwillingstod wird wie der eigene Tod erlebt, wenn der überlebende Zwilling den Verlust nicht akzeptieren kann (es gibt auch Zwillingstode, die akzeptiert werden). Daraus resultieren Schuldgefühle (sie binden den überlebenden an den verlorenen Zwilling), Neid über die Rückkehr in die unverkörperte Existenz, Wut über Allein-Gelassen-Worden-Sein, Trauer über den Verlust bedingungsloser Liebe und der wichtigsten Bindung. Diese Qualitäten werden dann postnatal in anderen Menschen unbewusst gesucht oder erwartet. Nicht unbedeutend sind auch die Umstände des Zwillingsverlustes. Wenn  er/sie sich aufgelöst hat, dringt seine/ihre energetische Präsenz in das System des überlebenden Zwillings ein. Die Einverleibung kann den Zwilling im Körper des/der überlebenden präsent machen. Wenn der Zwilling zur wichtigsten Überlebensstrategie im Mutterleib wurde, wird er/sie auch im eigenen Inneren gehalten. Auf diese Weise sichert sich der/die Überlebende die erhoffte heilsame Zweisamkeit. Der Platz des/der Partnerin wird besetzt und der nicht losgelassene Zwilling besetzt energetisch, emotional und psychisch den/die überlebenden. All die Qualitäten der gemeinsamen frühen Existenz können so zur Last für den/die Überlebende werden. Darum ist die Frage nach dem Loslassen von verlorenen Zwilling essenziell. Bei der Geburt kann das Fehlen des Zwillings den Verlustschmerz aktivieren.

In meiner therapeutischen Arbeit mit dem überlebenden Zwilling nutze ich Träume, Kunst (intuitives Malen), regressionsfördernde Maßnahmen wie  Atemtherapie, Visualisierung und alle Elemente des impliziten Gedächtnisses, vor allem das Körperwissen. Es geht mir immer darum, den Menschen auf seiner Verkörperungsreise rückwirkend und korrektiv zu begleiten. So verstehe ich auch die Aufgabe eines Zwillings…